E-Learning: Einführung in die lateinische Metrik

 


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"Hexameter"

 

 

 

2.8 Besonderheiten der altlateinischen Prosodie

In der Einführung zur römischen Metrik von Friedrich Crusius und Hans Rubenbauer heisst es auf S. 4, am Anfang des Kapitels zur lateinischen Prosodie:

„Es sei vorausbemerkt, dass die Silbenquantitäten des Lateinischen im Lauf der Jahrhunderte sich verändert haben; jede Generation, ja jeder Dichter hat prosodische Eigenheiten. Im Wesentlichen genügt es jedoch Altlatein (Plautus, Terenz, Ennius), klassisches Latein und Spätlatein (bis zum Schwinden des Gefühls für Quantitäten) zu unterscheiden.“

Da sich viele am meisten mit Dichtung beschäftigen, die in prosodischer Hinsicht dem klassischen Latein zuzuordnen ist, wird der Fokus auf dieser Epoche liegen. Die Prosodie des Spätlateins kann aus Zeitgründen nur am Rand behandelt werden. Im Folgenden finden Sie die prosodischen Eigenheiten des Altlateins, die teilweise auch für Dichter wie Lukrez (1. Hälfte 1. Jh. v. Chr.) noch gelten, kurz zusammengestellt. Weiter ins Detail geht z.B. Boldrini 1999, 31-46.

(a) Muta cum Liquida bildet in der altlateinischen Komödie in der Regel keine Position. Erst mit den Hexametern des Ennius (und vermutlich auch wegen des Einflusses der homerischen Prosodie) verbreitet sich die in Kapitel 2.2 vorgestellte Möglichkeit, dass Muta cum Liquida die vorangehende Silbe längen kann.

(b) Eine Art brevis in longo lässt sich im Altlatein am Wortende beobachten, wo die Konsonanten c, r und s doppelt ausgesprochen werden konnten, ohne dass man sie jedoch heute zwei Mal schreiben würde. Diese Doppelkonsonanz ist sprachgeschichtlich zu erklären und in mindestens einem Fall auch noch bei Vergil anzutreffen: Das auslautende -c im Nom. Akk. Neutr. Sg. hoc entstand aus *hocc, das selbst auf **hod-ce zurückgeht. Im klassischen Latein ist dieses hŏc eigentlich kurz (im Unterschied zu hōc im Abl. Sg.; vgl. z.B. Rubenbauer/Hofmann §56 mit „zu 1.“). Dennoch steht es in Verg. Aen. 6,129 am Anfang des Hexameters (vor einem Vokal) und wurde demnach lang gemessen: hoc opus, hic labor est.

(c) In Kapitel 2.4 wurden bereits einige Ausnahmen zur Regel vocalis ante vocalem corripitur genannt, die nur das Altlatein betreffen: terrāī (klass. terrae); fīeri (klass. fĭeri); rēī (klass. rĕī); plūit (klass. plŭit). Zwei weitere Beispiele für Abweichungen im Altlatein sind das Perfekt zu esse, also z.B. fūit (klass. fŭit), und der Dativ cūi (gelegentlich quoii geschrieben, klass. cŭi).

(d) Die im klassischen Latein übliche Prodelision bei es und est (vgl. Kapitel 2.6) nach Vokal, Diphthong oder -m findet sich im Altlatein selten auch nach den Endungen -ŭs und -ĭs. So kann fortunatus für fortunatus es („du bist glücklich“) stehen, wobei die modernen Herausgeber hier die Prodelision in der Regel durch ein Zeichen andeuten. Vgl. z.B. den jambischen Senar (d.h. sechsmal × ‒) in Plaut. Most. 48: tu fortunatu’s, egŏ miser: patiunda sunt (zur Jambenkürzung bei egŏ vgl. das Folgende). (Für weitere Beispiele vgl. Boldrini 1999, 54f. und Zgoll 2012, 69f.)

(e) Die Buchstaben ĕ, s und d waren im Auslaut unter bestimmten Umständen instabil. So konnte ein kurzes -ĕ in der Aussprache ausfallen und metrisch irrelevant werden. Ein Beispiel hierfür liefert der jambische Senar (d.h. sechsmal × ‒) in Plaut. Aul. 366, wo inde als ind’ ausgesprochen wurde. Dies kann auf verschiedene Arten notiert werden: inde cóctam sursum subducemus corbulis (ed. Leo 1895) oder ind’ coctam susum subducemus corbulis (ed. Lindsay 1904) oder ind(e) coctam sursum subducemus corbolis (in Boldrini 1999, 32).
In mehrsilbigen Wörtern konnte -s nach kurzem Vokal und vor konsonantischem Wortanfang wegfallen (vgl. auch [d] oben). In diesen Fällen wurde die Endsilbe trotz der zwei folgenden Konsonanten nicht gelängt. Dieses im Altlatein (und auch später in der Volkssprache noch) verbreitete Phänomen wird von Cicero (orat. 161) beschrieben (aus Boldrini 1999, 10):

quin etiam, quod iam subrusticum videtur, olim autem politius, eorum verborum, quorum eaedem erant postremae duae litterae quae sunt in optumus, postremam litteram detrahebant, nisi vocalis insequebatur. ita non erat ea offensio in versibus quam nunc fugiunt poetae novi. sic enim loquebamur: „Qui est omnibu’ princeps“, non omnibus princeps et: „Vita illa dignu’ locoque“, non dignus.

„Was uns jetzt plump vorkommt, einst aber als ziemlich elegant galt: Bei den Wörtern, die mit den gleichen beiden Buchstaben enden wie optumus, schnitt man den letzten Buchstaben ab, wenn kein Vokal folgte. Darum war das, was die heutigen Dichter in ihren Versen scheuen, kein Verstoss. Unsere Aussprache war nämlich qui est omnibu’ princeps, nicht omnibus princeps, und vita illa dignu’ locoque, nicht dignus.“

Neben den auslautenden Buchstaben -ĕ und -s war in seltenen Fällen auch ein -d nach Langvokalen instabil. So finden wir etwa bei Plautus neben sine tē auch den sprachgeschichtlich ursprünglichen Ablativ des Personalpronomens in Cas. 90: sine tēd.

(f) Es handelt sich um eine historische Erscheinung der lateinischen Sprache, dass eine jambische Silbenfolge gekürzt werden konnte: Man denke an bĕnĕ für bĕnē, mălĕ für mălē, quăsĭ für quăsī. In der altlateinischen Metrik wurde die Möglichkeit, anstelle eines Jambus (⏑ ‒) zwei Kürzen zu messen, sehr oft genutzt (beachte besonders ĕgŏ für ĕgō, tĭbĭ für tĭbī, mŏdŏ für mŏdō). Am Ende von Kapitel 2.1, bei der Besprechung von cano im ersten Vers der Aeneis, wurde bereits kurz darauf hingewiesen, dass die Endung der ersten Person Singular in der Regel lang ist (also cănō bei Vergil). Nun konnte eine solche Wortfolge im Altlatein aber auch gekürzt werden und als cănŏ zu skandieren sein. Bei diesem Jambenkürzungsgesetz sind die folgenden Punkte wichtig:

Für die zwei letzten Punkte beachte man den jambischen Senar (d.h. sechsmal × ‒) aus den Fragmenten des Tragödiendichters Accius, 2. Jh. v. Chr. (mit angegebenen Silbenquantitäten):

Acc. trag. 133: sĕd ăngūstĭtāt(e) īnclūs(am) āc sāxīs, squālĭdām

Die erste Silbe von angustitate ist kurz, obwohl sie eigentlich positionslang wäre. Dies ist über die Wortgrenze hinweg möglich, weil die Kürze des Jambus in einem Einsilbler steht. Zudem gehört die jambische Silbenfolge (eig. sĕd ān-) zu einem Element des Versschemas (⏑⏑ für ×). (Für weitere Einzelheiten zur Jambenkürzung vgl. Drexler 1969.)

 

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