2.10 Übung zur Prosodie
1. Welche Buchstaben-Verbindungen können von Muta cum Liquida betroffen sein?
Muta cum Liquida (vgl. Kapitel 2.2) umfasst Verbindungen von: Verschlusslaut (= Muta: p, t, c, b, d, g) oder Frikative f und (l, r) oder selten Nasal (m, n). |
2. Bestimmen Sie die Wirkung von Muta cum Liquida in den folgenden Wörtern (es können jeweils mehrere Lösungen möglich sein):
a) patris
b) utrum
a) pātris/pătris Für detaillierte Erklärungen vgl. Kapitel 2.2. |
c) lucida Gnosis
d) subrideo
c) lucidā Gnosis (vor Gn-) Für detaillierte Erklärungen vgl. Kapitel 2.2. |
e) sed res
f) dea Cretica
e) sēd res (über Wortgrenze) Für detaillierte Erklärungen vgl. Kapitel 2.2. |
g) probrus
h) at nullo
g) prōbrus/prŏbrus Für detaillierte Erklärungen vgl. Kapitel 2.2. |
3. In der lateinischen Dichtung gibt es dreisilbige Messungen von solŭo und silŭae, was manchmal dennoch solvo bzw. silvae geschrieben wird. Was ist daran auffällig?
Wie in Kapitel 2.1 dargelegt wurde, gelten i und u meist nur als Vokale, wenn sie zwischen Konsonanten stehen. Allerdings nahmen sich die Dichter wiederholt die Freiheit, eigentlich konsonantische i und v als Vokale zu behandeln (solŭo statt solvo bzw. silŭae statt silvae). |
4. Quintilian (inst. 9,4,40) schreibt über das finale -m im Lateinischen: etiam si scribitur, tamen parum exprimitur, ut „multum ille“ et „quantum erat“. Erklären Sie kurz, für welche prosodische Erscheinung dies von grosser Bedeutung ist.
Dass ein finales -m zwar geschrieben, aber kaum ausgesprochen wurde, ist für die prosodische Erscheinung der Elision und der Prodelision wichtig (Kapitel 2.6): Wenn Wörter, die auf -m (oder Vokal oder Diphthong) enden, vor einem Wort stehen, das mit Vokal oder h- beginnt, wird diese Endsilbe in der Regel ausgestossen (Ausnahmen: bei es und est kommt es zur Prodelision). |
5. In Verg. Aen. 4,667 wird die Trauer über Didos Selbstmord beschrieben:
lamentis gemituque et femineo ululatu …
Zeichnen Sie die Längen und Kürzen in diesem Hexameter ein. Zwei Angaben aus dem Wörterbuch sollen Ihnen dabei helfen: fēmĭnĕŭs und ŭlŭlātŭs. Welche prosodische Erscheinung ist besonders auffällig? Haben Sie eine Erklärung dafür?
Analyse des Hexameters Verg. Aen. 4,667 (mit Angabe der Silbenquantitäten): lāmēntīs gĕmĭtūqu(e) ēt fēmĭnĕōh ŭlŭlātū … Bezüglich Prosodie ist zunächst einmal die Elision (vgl. Kapitel 2.6) in gemituqu(e) zu nennen. Dies ist aber eine sehr verbreitete Erscheinung. Besonders auffällig in diesem Vers ist der Hiat nach femineo, bei dem keine Hiatkürzung eintritt (vgl. Kapitel 2.7). Für diesen Hiat gibt es eine stilistische Erklärung: Der Schmerz über Didos Selbstmord wird durch den Hiat hervorgehoben und rhythmisch untermalt (vgl. zu diesem Hexameter Boldrini 1999, 58). |
6. Ein Hexamter bei Lukrez (1,978) enthält gleich zwei prosodische Besonderheiten:
quo minus quo missum est veniat finique locet se …
Tragen Sie die Längen und Kürzen ein und erklären Sie die prosodischen Besonderheiten.
Analyse des Hexameters Lucr. 1,978 (mit Angabe der Silbenquantitäten): quō mĭnŭ(s) quō mīssūm (e)st vĕnĭāt fīnīquĕ lŏcēt sē … Eine Prodelision wie bei missum (e)st ist zwar erwähnenswert, aber nicht besonders selten (vgl. Kapitel 2.6). Ungewöhnlich ist demgegenüber, dass die Endsilbe von minus kurz gemessen wird, obwohl zwei Konsonanten folgen. Diese prosodische Erscheinung lässt sich durch die Instabilität des auslautenden -s im Altlatein (und in diesem Fall auch noch bei Lukrez) erklären: Der Buchstabe -s konnte in mehrsilbigen Wörtern nach kurzem Vokal und vor konsonantischem Wortanfang wegfallen (vgl. Kapitel 2.8 unter [e] sowie Boldrini 1999, 54 zu diesem Hexameter). |
Literaturhinweise zur Prosodie: Boldrini 1999, 29-65, Crusius/Rubenbauer 21955, 4-28 und Zgoll 2012, 37-56.
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