3.2.2 Übungen zum elegischen Distichon
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Analysieren Sie als erstes das berühmte 85. Gedicht von Catull in prosodischer und metrischer Hinsicht. Bestimmen Sie dieses Mal nur die Zäsuren und Diäresen, die Sie auch lesen würden:
odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris.
nescio, sed fieri sentio et excrucior.
ōd(i) ĕt ămō. | quār(e) īd făcĭām, | fōrtāssĕ rĕquīrĭs. [T, H] nēscĭŏ, sēd (|) fĭĕrī | sēntĭ(o) ĕt ēxcrŭcĭŏr. [(T,) MD] |
In prosodischer Hinsicht lassen sich die folgenden Beobachtungen anführen: Während Elisionen im Hexameter sehr verbreitet sind – wie hier od(i) und quar(e) –, sind sie im zweiten Teil des Pentameters sonst relativ selten. Dennoch muss senti(o) et elidiert werden. Das erste i von fieri ist gemäss vocalis ante vocalem corripitur kurz (fĭeri), nur in altlateinischer Dichtung kann es auch lang sein (vgl. Kapitel 2.4 und 2.8 unter [c] zu fīeri). amo hat die erwartete lange Endsilbe in der 1. Person Singular; nescio hingegen muss aufgrund des Versschemas auf einen Kurzvokal auslauten. Dies lässt sich durch das Jambenkürzungsgesetz erklären, nach dem Wörter mit jambischer Silbenfolge unter gewissen Umständen gekürzt werden konnten: Catull hat sich diese Freiheit des Altlateins hier offenbar auch herausgenommen (vgl. Kapitel 2.8 unter [f] und konkret zu nescio an dieser Stelle Zgoll 2012, 103 Anm. 275).
Auch in diesem Gedicht werden die rhythmischen Pausen dem Inhalt und der Syntax entsprechend eingesetzt. Im ersten Vers sind Trithemimeres und Hephthemimeres zu lesen, die in Hexametern gerne kombiniert werden und hier auch mit syntaktischen Einschnitten einhergehen. Bei der Penthemimeres nach id hingegen hat man wohl keine Pause gemacht, obgleich dort auch eine Wortgrenze ist. Im Pentameter könnte man sicher eine Pause nach nescio lesen, wo im heutigen Druck auch ein Komma gesetzt wird. Diese Diärese nach dem ersten Metrum hat keinen eigenen Namen. Man könnte allerdings auch die Trithemimeres nach sed lesen: Eine Pause nach „Ich weiss es nicht, aber …“ erhöht die Spannung und zögert die Auflösung des Epigramms noch etwas hinaus. Auch die Mitteldiärese wird in diesem Sinne stilistisch funktionalisiert: „dass es geschieht …“ – Pause – „spüre ich und werde gequält.“
Mit diesen drei ausführlichen Epigramm-Analysen sollte exemplarisch gezeigt werden, wie sehr die metrischen Strukturen auch in elegischen Distichen dazu genutzt wurden, um Inhalte zu untermalen. Im Folgenden finden Sie weitere Verse, mit denen nun primär das Versschema des elegischen Distichons eingeübt werden soll.
Analysieren Sie die elegischen Distichen in Ov. am. 3,1,1-10. Bestimmen Sie neben den Quantitäten auch wieder alle Zäsuren und Diäresen:
Stat vetus et multos incaedua silva per annos;
Stāt vĕtŭs ēt | mūltōs | īncāedŭă | sīlvă pĕr ānnōs; [T, P, bD] |
credibile est illi numen inesse loco.
crēdĭbĭlē (e)st | īllī | nūmĕn ĭnēssĕ lŏcō. [T, MD] |
fons sacer in medio speluncaque pumice pendens,
fōns săcĕr īn | mĕdĭō | spēlūncăquĕ | pūmĭcĕ pēndēns, [T, P, bD] |
et latere ex omni dulce queruntur aves.
ēt lătĕr(e) ēx | ōmnī | dūlcĕ quĕrūntŭr ăvēs. [T, MD] |
Hic ego dum spatior tectus nemoralibus umbris – (5)
Hīc ĕgŏ dūm | spătĭōr | tēctūs | nĕmŏrālĭbŭs ūmbrīs – (5) [T, P, H] |
quod mea, quaerebam, Musa moveret opus –
quōd mĕă, quāerēbām, | Mūsă mŏvērĕt ŏpŭs – [(nach 1. Metrum,) MD] |
venit odoratos Elegia nexa capillos,
vēnĭt ŏdōrātōs | Ělĕgīā | nēxă căpīllōs, [P, bD (zu Elegiā vgl. ThLL s.v.)] |
et, puto, pes illi longior alter erat.
ēt, pŭtŏ, | pēs īllī | lōngĭŏr āltĕr ĕrăt. [T, MD] |
forma decens, vestis tenuissima, vultus amantis,
fōrmă dĕcēns, | vēstīs | tĕnŭīssĭmă, | vūltŭs ămāntĭs, [T, P, bD] |
et pedibus vitium causa decoris erat. (10)
ēt pĕdĭbūs | vĭtĭūm | cāusă dĕcōrĭs ĕrăt. (10) [T, MD] |
Für die Analyse dieser Verse und weitere Übungsbeispiele vgl. auch Zgoll 2012, 103-105.
Walter Marg und Richard Harder (31968) übersetzten das zweitletzte Distichon (Ov. am. 3,1,7-8) metrisch. Im Folgenden ist ihr Druckbild wiedergegeben:
„Trat mir, ihr duftendes Haar voll Kunst geschlungen, entgegen
Die Elegie, und mich dünkt ein Fuss war etwas gekürzt;“
Können Sie sich erklären, warum die personifizierte Elegia bei Ovid in der Übersetzung von Marg/Harder einen etwas „gekürzten“ (bzw. im Lateinischen einen etwas „längeren“, vgl. longior) Fuss haben könnte?
Die personifizierte Elegia hat nicht nur gut duftende Haare (Vers 7: odoratus … nexa capillos), wie es zur Liebeselegie passt, sondern sie hat auch zwei ungleich lange Füsse (Vers 8). Damit wird auf den Pentameter angespielt, der um einen ‚Fuss‘ kürzer ist als der Hexameter. Übrigens hält Ovid dies überhaupt nicht für einen Nachteil, wie er im folgenden Distichon sagt (erneut in metrischer Übersetzung von Marg/Harder 31968): „Schön die Gestalt, hauchdünn das Gewand und verliebt ihre Augen, / Und ihrem Gange [lat. pedibus] verlieh Anmut ihr Fehler und Reiz.“ |
Literaturhinweise zum elegischen Distichon: Boldrini 1999, 97f., Crusius/Rubenbauer 21955, 57-60 und Zgoll 2012, 99-105.
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