E-Learning: Einführung in die lateinische Metrik

 


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"Hexameter"

 

 

 

 

3. Daktylische Verse

3.1 Der daktylische Hexameter

Der daktylische Hexameter gehört zu den wichtigsten Versmassen der lateinischen Dichtung. In der Regel wird er bereits im Schul-/Latinum-Unterricht (bei der Lektüre von Texten wie Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen) gelernt. Aufgrund seiner Bekanntheit wird der katalektische (s. dazu Kapitel 2.3) daktylische Hexameter oft bloss ‚Hexameter‘ genannt. In die lateinische Literatur wurde das Versmass von Ennius eingeführt, der in seinen Annalen auch metrisch mit den homerischen Epen wetteiferte. Die Odyssee-Übertragung von Livius Andronicus und das Bellum Punicum von Naevius waren noch in Saturniern verfasst worden (vgl. dazu Kapitel 9). Nach Ennius war der Hexameter das im Epos übliche Versmass. Daneben wurden sie aber auch in anderen Gattungen verwendet, wie etwa in Vergils Eklogen oder Horazens Satiren.

 

3.1.1 Schema und Charakteristika des daktylischen Hexameters

Wie es der Name schon sagt, besteht der daktylische Hexameter aus sechs daktylischen Metren. Die sechs Längen der Daktylen sind fest und können nicht durch zwei Kürzen aufgelöst werden. Umgekehrt kann hingegen anstelle der beiden Kürzen eine Länge auftreten. Im fünften Metrum ist dies allerdings eher selten. Daher wird das Schema oft folgendermassen gezeichnet:

1 ‒ ⏔, 2 ‒ ⏔, 3 ‒ ⏔, 4 ‒ ⏔, 5 ‒ ⏑⏑, 6 ‒ ×

Wenn das fünfte Metrum durch einen Spondeus (sp,  ) realisiert ist, wird von versus spondīăcus (bzw. griech. σπονδειάζων) gesprochen. Am häufigsten kommt dies bei Eigennamen vor, die schwierig ins Metrum einzubetten sind, und bei Versen, in denen eine stilistische Absicht vermutet werden kann. Crusius/Rubenbauer nennen beispielsweise Verg. georg. 3,276:

sāxă pĕr ēt scŏpŭlōs ēt dēprēssās cōnvāllīs

(1 ‒ ⏑⏑, 2 ‒ ⏑⏑, 3 ‒ ‒, 4 ‒ ‒, 5 ‒ ‒, 6 ‒ ‒)

Beschrieben werden hier Stuten, die „über Steine, Klippen und tiefe Talkessel“ fliehen. Crusius/‌Rubenbauer 21955, 53 halten zu diesem versus spondiacus fest: „versmalend zur Bezeichnung der tiefen Senkungen“.

Bereits in Kapitel 1.1 wurde kurz gezeigt, dass eine bestimmte Realisierung des Hexameters den Inhalt eines Verses untermalen kann: Der ‚Holodaktylus‘ (ein gänzlich aus Daktylen bestehender Vers) in Verg. Aen. 8,596 (quadripedante putrem sonitu quatit ungula campum) imitiert das Galoppieren der Pferde. Gänzlich aus Spondeen bestehende Verse, so genannte ‚Holospondeen‘, sind äusserst selten. Aus der klassischen Zeit ist lediglich Catull. 116,3 belegt: qui te lenirem nobis, neu conarere. Doch auch eine geringere Häufung von Spondeen kann stilistisch eingesetzt werden, um etwas Ernstes, etwas Mühsames oder etwas Bedeutungsvolles zu untermalen. Als Beispiel sei der dritte Vers der Aeneis genannt:

… mūlt(um) īll(e) ēt tērrīs iāctātŭs …

(2 ‒ ‒, 3 ‒ ‒, 4 ‒ ‒, 5 ‒ ⏑)

Zgoll 2012, 90 schreibt über diesen Hexameter zu Recht, dass die Spondeen „zur Beschreibung der langen und mühevollen Irrfahrten des Aeneas und seiner Gefährten“ eingesetzt werden.

Im daktylischen Hexameter liegen die wichtigsten drei Zäsuren (vgl. dazu Kapitel 1.5.3) nach der zweiten, dritten und vierten festen Länge:

1 ‒ ⏔, 2 ‒ ⁝ ⏔, 3 ‒ ⁞ ⏔, 4 ‒ ⁝ ⏔, 5 ‒ ⏑⏑, 6 ‒ ×

Statistisch am häufigsten ist eine Pause nach der dritten festen Länge bzw. dem 5. Halbmetrum. Diese Zäsur wird meist Penthemimeres (πενθημιμερὴς <τομή>, „fünft-halb-teiliger <Einschnitt>“) oder seltener auch Semiquinaria genannt und findet sich z.B. im soeben genannten Hexamter in Verg. georg. 3,276 (sāxă pĕr ēt scŏpŭlōs | ēt dēprēssās cōnvāllīs) oder im bereits mehrmals diskutierten Anfangsvers der Aeneis (ārmă uĭrūmquĕ cănō, | Trōiāe quī prīmŭs ăb ōrīs), wo auch das Komma vor dem Relativsatz eine Pause anzeigt.

Der Einschnitt nach der vierten festen Länge bzw. dem 7. Halbmetrum, die Hephthemimeres (ἑφθημιμερὴς <τομή>, „siebt-halb-teiliger <Einschnitt>“), wird oft zusammen mit dem Einschnitt nach der zweiten festen Länge bzw. dem 3. Halbmetrum, der Trithemimeres (τριθημιμερὴς <τομή>, „dritt-halb-teiliger <Einschnitt>“), eingesetzt. In Ov. met. 1,314 treffen die beiden Zäsuren auch mit syntaktischen Pausen zusammen (mit Angabe der Silbenquantitäten):

tērră fĕrāx, | dūm tērră fŭīt, | sēd tēmpŏr(e) ĭn īllō

Im lateinischen Hexameter eher selten ist eine Pause nach dem 3. Trochäus, also zwischen den beiden Kürzen im dritten Metrum. Diese Zäsur heisst Kata triton trochaion (<τομὴ> κατὰ τρίτον τροχαῖον, „<Einschnitt> beim dritten Trochäus“) und lässt sich beispielsweise in Verg. Aen. 4,486 nachweisen (mit Angabe der Silbenquantitäten):

spārgēns ūmĭdă mēllă | sŏpōrĭfĕrūmquĕ păpāvĕr.          

Zu diesen vier Zäsuren kommt noch eine Diärese, die in der Hexameter-Dichtung verbreitet ist: Der Einschnitt zwischen dem 4. und 5. Metrum heisst bukolische Diärese, da sie in bukolischen Gedichten (also in Hirtengedichten wie Vergils Eklogen) am häufigsten vorkommt. Diese Pause erscheint oft gemeinsam mit einer Penthemimeres, wie z.B. in Verg. ecl. 10,77 am Gedichtende (mit Angabe der Silbenquantitäten):

ītĕ dŏmūm sătŭrāe, | vĕnĭt Hēspĕrŭs, | ītĕ căpēllāe.

Überlegen Sie sich als Repetition, wo die fünf häufigsten und mit eigenem Namen bezeichneten Pausen im folgenden Grundschema des lateinischen Hexameters einzuzeichnen sind:

1 ‒ ⏔, 2 ‒ ⏔, 3 ‒ ⏔, 4 ‒ ⏔, 5 ‒ ⏑⏑, 6 ‒ ×.

Lösung

1 ‒ ⏔, 2 ‒ ⁝ ⏔, 3 ‒ ⁞ ⏑⁚⏑, 4 ‒ ⁝ ⏔, ⁝ 5 ‒ ⏑⏑, 6 ‒ ×

 

Nicht selten ist zudem Wortende, syntaktischer Einschnitt und somit wohl auch Sprechpause nach dem ersten Metrum (und gelegentlich auch nach dem zweiten). Man denke an die Verse zwei und drei der Aeneis: Italiam fato profugus Laviniaque venit || litora | … Diese Diärese nach litora hat jedoch keine eigene Bezeichnung. Stilistisch handelt es sich um ein Enjambement.

Tragen Sie nun als kurze Übung die Pausen in Verg. Aen. 2,3 ein: infandum, regina, iubes renovare dolorem … Fällt Ihnen dabei etwas auf?

Lösung

Der dritte Hexameter im zweiten Buch von Vergils Aeneis enthält gleichzeitig drei Zäsuren, die vermutlich alle gelesen werden sollten: īnfāndūm, | rēgīnă, | iŭbēs | rĕnŏvārĕ dŏlōrĕm … – „Unsagbaren, Göttin, Schmerz befiehlst du zu erneuern …“

Boldrini 1999, 94 schreibt dazu: „Das gleichzeitige Auftreten von Trithemimeres, Einschnitt nach dem dritten Trochäus und Hephthemimeres unterstreicht die ungeheure Spannung beim Beginn der Erzählung des Aeneas vor Dido und verdeutlicht den Ernst der Stimmung des Helden, die er schmerzvoll zum Ausdruck bringt, da er verpflichtet ist, auf eine Frage zu antworten, die in Wirklichkeit einen Befehl darstellt, und er sich weder den Gesetzen der Gastfreundschaft entziehen noch einer Königin eine Absage erteilen kann.“

 

Wenn ein Hexameter mehrere Pausen enthält, muss dies nicht zwingend bedeuten, dass beim Vortrag wirklich bei jedem Einschnitt innezuhalten ist. Von besonderer Bedeutung sind in diesen Fällen sicher diejenigen Zäsuren und Diäresen, an denen auch ein syntaktischer oder inhaltlicher Einschnitt vorhanden ist. Als Beispiel hierfür sei auf die Zäsuren im zweiten Vers der Aeneis hingewiesen:

Ītălĭām | fātō | prŏfŭgūs | Lāuīniăquĕ uēnĭt

Rein von den Wortenden her gesehen enthält dieser Hexameter Trithemimeres, Penthemimeres und Hephthemimeres. Würde man allerdings die Penthemimeres nach fato auch wirklich als Pause lesen, würde das Syntagma fato profugus auseinandergerissen. Schon Quintilian hat in seiner Besprechung der ersten drei Aeneis-Verse (inst. 11,3,36-38) darauf hingewiesen, dass zwischen fato und profugus beim Vortrag keine Pause zu machen ist (vgl. Zgoll 2012, 65 mit Einzelheiten dazu). Wenn wir demnach heute bei metrischen Analysen zu Übungszwecken alle Zäsuren und Diäresen einzutragen pflegen, müssen wir uns immer bewusst sein, dass es natürlich nicht sinnvoll ist, jedes Mal beim Vortragen auch eine Pause zu machen.

 

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