4.2.3 Jambischer Senar
Weitaus häufiger als der jambische Quaternar und der Oktonar ist der Senar, der aus sechs jambischen Füssen besteht. Der jambische Senar ist der übliche Sprechvers in der römischen Tragödie und Komödie. Darüber hinaus verwendet ihn auch etwa Phaedrus in seinen Fabeln. Beim Grundschema ist zu beachten, dass die letzte Kürze fest und am Ende brevis in longo möglich ist:
1 × ⏕, 2 × ⏕, 3 × ⏕, 4 × ⏕, 5 × ⏕, 6 ⏑ ×
Da die Längen oft in zwei Kürzen aufgelöst werden und beim elementum anceps eine Länge, eine Kürze oder (ausser am Versende) eine Doppelkürze auftreten kann, gibt es sechs Möglichkeiten zur Realisierung eines jambischen Fusses: ⏑ ‒, ‒ ‒, ⏑⏑ ‒ (mit einer Länge als zweitem Element); ⏑ ⏑⏑, ‒ ⏑⏑, ⏑⏑ ⏑⏑ (mit Doppelkürze als zweitem Element). Wegen dieser zahlreichen Möglichkeiten hat bereits Cicero (orat. 184) festgehalten, dass die Analyse nicht immer einfach ist:
at comicorum senarii propter similitudinem sermonis sic saepe sunt abiecti, ut nonnunquam vix in iis numerus et versus intellegi possit.
„Die Senare der Komödiendichter aber sind wegen ihrer Ähnlichkeiten mit der Umgangssprache oft so frei gestaltet, dass man Rhythmus und Vers bei ihnen manchmal kaum noch erkennen kann.“
Übersetzung aus Zgoll 2012, 114
Die häufigsten regelmässigen Einschnitte im jambischen Senar sind wie beim jambischen Trimeter (vgl. Kapitel 4.1.4) mit denjenigen im daktylischen Hexameter vergleichbar: Am häufigsten ist die Penthemimeres (Einschnitt nach dem fünften Element); zudem gibt es Verse mit Hephthemimeres (Einschnitt nach dem siebten Element), die dann oft von einer Trithemimeres (Einschnitt nach dem dritten Element) begleitet wird. Nur selten findet sich eine Mitteldiärese:
1 × ⏕, 2 × ⁝ ⏕, 3 × ⁞ ⏕, ⁚ 4 × ⁝ ⏕, 5 × ⏕, 6 ⏑ × [T, P, MD, H]
Analysieren Sie als kurze Übung trag. fr. 69 des Tragödiendichters Accius:
Atque eccos segnis somno et tarditudine.
Ātqu(e) ēccōs (|) sēgnīs | sōmn(o) ēt (|) tārdĭtūdĭnĕ. [(T,) P (, H)] Dieser jambische Senar enthält als Hauptzäsur eine Penthemimeres. Nach eccos könnte man auch eine Trithemimeres und nach et eine Hephthemimeres einzeichnen, doch diese wurden sicher nicht gesprochen, da sie die Syntagmen eccos segnis („diese Trägen da“) und somno et tarditudine („wegen Schlaf und Langsamkeit“) auseinandergerissen hätten. |
An diesem Vers lässt sich auch die Regel von Bentley-Luchs zeigen, die im jambischen Senar fast immer eingehalten wird: Wenn im zweitletzten Fuss das erste Element als Kürze realisiert ist (⏑ ⏕), gibt es nach diesem Fuss kein Wortende. Mit dieser Brücke (vgl. Kapitel 1.5.3) soll offenbar vermieden werden, dass der Schluss des jambischen Senars (⏑ ×) um einen Fuss zu früh vorweggenommen wird. Nach der Silbenfolge -dĭtū- im fünften Fuss bei tarditudine endet das Wort nicht: Die Regel von Bentley-Luchs,
nach der … 5 ⏑ ⏕ ͡ ⏑ × gilt,
ist also eingehalten.
4.2.4 Jambischer Septenar
Während der jambische Senar (mit seinen sechs Füssen) von der Länge her dem jambischen Trimeter (mit seinen drei Metren) entspricht, muss der jambische Septenar mit einem katalektischen jambischen Tetrameter verglichen werden (vgl. Kapitel 4.1.3). Denn der seit der Antike gebräuchliche Begriff ‚jambischer Septenar‘ ist irreführend: Dieses Versmass enthält nicht sieben Füsse, wie man meinen könnte, sondern siebeneinhalb, weshalb man eigentlich besser von einem ‚katalektischen jambischen Oktonar‘ sprechen würde.
Meist hat der jambische Septenar eine Mitteldiärese, wobei dann der vierte Fuss eine feste Kürze enthält und brevis in longo vor der Diärese möglich ist:
1 × ⏕, 2 × ⏕, 3 × ⏕, 4 ⏑ ×, ⁞ 5 × ⏕, 6 × ⏕, 7 × ⏕, 8 ×
Als Beispiel sei Fragment 140 des Komödiendichters Lucius Afranius genannt, der zu den bedeutendsten Dichtern der fabula togata, der römischen Komödie in römischem Gewand, gehörte und in der zweiten Hälfte des 2. Jh. v. Chr. wirkte (mit Angabe der Silbenquantitäten):
prŏfĭcīscōr: rēs tēmpūs lŏcūs, | sĭmŭl ōtĭ(um) hōrtābātŭr
Wenn ein jambischer Septenar keine Mitteldiärese hat, findet sich meistens ein Einschnitt nach dem neunten Element:
1 × ⏕, 2 × ⏕, 3 × ⏕, 4 ⏕, 5 × ⁚ ⏕, 6 × ⏕, 7 × ⏕, 8 ×
In Vers 834 von Terenzens Komödie Hecyra fällt diese Zäsur mit einem syntaktischen Einschnitt zusammen (mit Angabe der Silbenquantitäten):
ēts(i) hōc mĕrĕtrīcēs ălĭāe nōlūnt; | nĕqu(e) ĕnīm (e)st īn rēm nōstrăm
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