6. Anapästische Verse
In Kapitel 2.9 haben Sie das Metrik-Standardwerk von Boldrini 1999 kennengelernt. In diesem Kapitel sollen Sie einen Einblick in das empfehlenswerte Studienbuch von Zgoll 2012 erhalten, wobei ich hier das Cover der 2. Auflage von 2020 zeigen darf:
Daher empfehle ich Ihnen, Christian Zgolls Kapitel „5. Anapästische Versmasse“ (S. 131-133) zu lesen. Ich danke dem Verlag wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) für die Erlaubnis, neben dem Cover auch diese drei Seiten hier als PDF anbieten zu dürfen. Es hat mich gefreut, dass der Autor damit ebenfalls einverstanden war.
Zu Zgolls Besprechung der anapästischen Dipodie (a), des Paroemiakus/katalektischen anapästischen Quaternars (b), des akatalektischen anapästischen Quaternars bzw. anapästischen Dimeters (c), des katalektischen anapästischen Oktonars/anapästischen Septenars (d) und des anapästischen Oktonars (e) ist zu ergänzen, dass bei Seneca eher von anapästischen Dimetern gesprochen wird als von anapästischen Quaternaren, obwohl damit kein metrischer Unterschied bezeichnet wird. In den Kapiteln zu den jambischen und trochäischen Versen wurde gezeigt, dass Seneca seine Verse nach griechischer Art mit Metren und nicht nach römischer Art mit Füssen gegliedert hat. Daher verwendet man auch bei Senecas Anapästen üblicherweise Begriffe wie ‚Dimeter‘.
PDF mit der folgenden Übung zum Herunterladen.
Als kurze Übung zu den Anapästen wurde ein Ausschnitt aus Senecas Apocolocyntosis gewählt. Bei dieser Parodie über die „Verkürbissung“ (statt Vergöttlichung) von Kaiser Claudius (Regierungszeit: 41-54 n. Chr.) handelt es sich um das einzige vollständig erhaltene Beispiel einer Menippeischen Satire (zu Fragmenten von Varro vgl. Kapitel 5.1.3). In dieser Untergattung der Satire, die von der römischen Verssatire eines Lucilius, Horaz, Persius oder Juvenal getrennt werden muss, ist eine Mischung von Prosa und Poesie üblich. Der verstorbene Claudius beobachtet in der folgenden Passage (Sen. apocol. 12,3) seine eigene Bestattung und merkt erst jetzt, dass er wirklich tot ist. Das in Anapästen verfasste Klagelied ist als Parodie zu lesen:
Claudius, ut uidit funus suum, intellexit se mortuum esse. ingenti enim μεγάλωι χορικῶι nenia cantabatur [anapaestis]:
„fundite fletus, edite planctus,
„fūndĭtĕ flētūs, | ēdĭtĕ plānctūs, [MD] |
resonet tristi clamore forum:
rĕsŏnēt trīstī | clāmōrĕ fŏrūm: [MD] |
cecidit pulchre cordatus homo,
cĕcĭdīt pūlchrē | cōrdātŭs hŏmō, [MD] |
quo non alius fuit in toto
quō nōn ălĭūs | fŭĭt īn tōtō [MD] |
fortior orbe.
fōrtĭŏr ōrbē. [Monometer als Klausel] |
ille citato uincere cursu
īllĕ cĭtātō | uīncĕrĕ cūrsū [MD] |
poterat celeris, ille rebelles
pŏtĕrāt cĕlĕrīs, | īllĕ rĕbēllēs [MD] |
fundere Parthos leuibusque sequi
fūndĕrĕ Pārthōs | lĕuĭbūsquĕ sĕquī [MD] |
Persida telis, certaque manu
Pērsĭdă tēlīs, | cērtāquĕ mănū [MD] |
tendere neruum, qui praecipites
tēndĕrĕ nēruūm, | quī prāecĭpĭtēs [MD] |
uulnere paruo figeret hostes
uūlnĕrĕ pāruō | fīgĕrĕt hōstēs [MD] |
pictaque Medi terga fugacis …“
pīctăquĕ Mēdī | tērgă fŭgācīs …“ [MD] |
In diesen Lösungen habe ich am Ende der Verse bewusst immer eine Länge eingezeichnet, auch wenn z. B. die Endsilbe von forum im zweiten Vers von Natur aus kurz ist. Dies soll verdeutlichen, dass brevis in longo auch so markiert werden kann.
Literaturhinweise zu anapästischen Versen: Boldrini 1999, 118-123, Crusius/Rubenbauer 21955, 85-90 und Zgoll 2012, 131-133. Zu Senecas Apocolocyntosis vgl. Lund 1994.
Rückwärts | Vorwärts |