3.1.1 Der homerische Hexameter
Der Hexameter hat als Grundform das Metrum des Daktylus (da, ‒ ⏑ ⏑). Grundsätzlich können die zwei Kürzen auch durch eine Länge ersetzt werden. Man spricht dann von einem Spondeus (sp, ‒ ‒). Die Länge hingegen kann nicht in zwei Kürzen aufgelöst werden, sie ist fest. Der 6. Daktylus des Hexameters ist katalektisch (‒ ×).
Zur Verteilung der Daktylen und Spondeen im homerischen Hexameter ist Folgendes anzumerken. Der 5. Daktylus ist nur etwa alle 50 Verse durch einen Spondeus realisiert. Meistens endet der Hexameter mit ... ‒ ⏑ ⏑ ‒ ×. Das Ende ‒ ‒ ‒ × kommt insbesondere dann vor, wenn vor dem Versende kein Wort mehr endet. Skandieren Sie als Beispiel hierfür den (auch von Kannicht erwähnten) Vers 1,11 aus der Ilias:
οὕνεκα τὸν Χρύσην ἠτίμασεν ἀρητῆρα
(Hilfe zur natürlichen Länge der Vokale in diesem Vers: In Χρύσην ist das -υ-, in ἠτίμασεν ist das -ι-, in ἀρητῆρα ist das ἀ- lang.)
Für die Zäsuren und Diäresen des Hexameters werden die folgenden Begriffe verwendet:
- Trithemimeres (τριθημιμερής <τομή>, "dritt-halb-teiliger <Einschnitt>"): Zäsur nach dem 3. Halbmetrum, also nach der zweiten festen Länge
- Penthemimeres (πενθημιμερής <τομή>, "fünf-halb-teiliger <Einschnitt>"): Zäsur nach dem 5. Halbmetrum, also nach der dritten festen Länge
- Kata triton trochaion (<τομὴ> κατὰ τρίτον τροχαῖον, "<Einschnitt> beim dritten Trochäus"): Zäsur nach dem 3. Trochäus, also zwischen den beiden Kürzen im dritten Metrum
- Hephthemimeres (ἑφθημιμερής <τομή>, "siebt-halb-teiliger <Einschnitt>"): Zäsur nach dem 7. Halbmetrum, also nach der vierten festen Länge
- Bukolische Diärese (in der bukolischen Dichtung besonders beliebter Einschnitt): Diärese zwischen dem 4. und dem 5. Metrum
Am häufigsten sind Penthemimeres und Kata triton trochaion. Diese trennen einen Hexameter in zwei ähnlich lange Teile (Kola), wobei der zweite Teil jeweils länger ist. Wenn keine Zäsur im dritten Metrum vorliegt, sind in der Regel sowohl Trithemimeres als auch Hephthemimeres anzutreffen. Zäsuren nach einer Länge (Trithemimeres, Penthemimeres und Hephthemimeres) werden in der Sekundärliteratur auch "männliche Zäsuren" genannt, die Zäsur nach der Kürze (Kata triton trochaion) heisst entsprechend "weibliche Zäsur".
Folgende Brücken, die gelegentlich auch nach ihren modernen 'Entdeckern' benannt werden, sind im homerischen Hexameter in der Regel (aber nicht immer!) eingehalten worden:
- Brücke nach einem Spondeus im 2. Metrum: Nach einem 2. spondeischen Metrum wird Wortende gemieden (Hilberg'sches Gesetz)
- Brücke nach einem Trochäus im 4. Metrum: In einem 4. daktylischen Metrum wird nach dem Trochäus (also zwischen den beiden Kürzen) Wortende gemieden (Hermann'sche Brücke)
- Brücke nach einem Spondeus im 4. Metrum: Nach einem 4. spondeischen Metrum wird Wortende, also bukolische Diärese, gemieden (Naeke'sche Brücke)
- Brücken im versus spondiacus (σπονδειάζων, Vers mit Spondeus im 5. Metrum): Wenn ein Hexameter mit ‒ ‒ ‒ × endet, findet sich zwischen den letzten drei Silben in der Regel kein Wortende mehr (also ... ‒ ‒͡ ‒͡ ×)
Zeichnen Sie das folgende Grundschema des Hexameters ab und fügen Sie diese Zäsuren, Diäresen und Brücken hinzu. Hier und im Folgenden werden die Abkürzungen Tri, Pe, Kat, He und Buk verwendet.
1 ‒ ⏑ ⏑, 2 ‒ ⏑ ⏑, 3 ‒ ⏑ ⏑, 4 ‒ ⏑ ⏑, 5 ‒ ⏑ ⏑, 6 ‒ ×
Hinweis zur Terminologie: Sollten Sie in der Sekundärliteratur je auf Bezeichnungen wie A4 (Trithemimeres), B1 (Penthemimeres), B2 (Kata triton trochaion), C1 (Hephthemimeres) oder C2 (bukolische Diärese) stossen, lesen Sie den wichtigen Beitrag zum Hexameter von Fränkel 1955.
Rückwärts | Vorwärts |