3.1.4 Der kallimacheische Hexameter
Nonnos (5. Jh. n. Chr.) dichtete seine Hexameter mehr als 1000 Jahre nach der Entstehung von Ilias und Odyssee. Seit dieser Zeit haben sich auch einige Einzelheiten des Versmasses verändert. Mit Kallimachos (3. Jh. v. Chr.) erreichte die insbesondere im Hellenismus stark steigende Verfeinerung ihren Höhepunkt. Allgemein gesprochen wurde der Hexameter strenger gebaut und subtiler strukturiert.
Die wichtigsten Züge des kallimacheischen Hexameters im Unterschied zum homerischen:
- Weniger Spondeen: Die Daktylen werden seltener durch Spondeen realisiert, ‒ ⏑ ⏑ wird generell beliebter.
- Zäsur im 3. Metrum: Verse ohne Zäsur im 3. Metrum werden gemieden; Kata triton trochaion ist dabei beliebter als Penthemimeres.
- Einsilbler am Versende werden in den meisten Gattungen gemieden. Im homerischen Hexameter findet man sie etwa alle 50 Verse, bei Kallimachos und Nonnos nur nach bukolischer Diärese.
Ausserdem wurden die bei Homer bereits erstrebten, aber noch weniger strikt eingehaltenen Brücken strenger befolgt:
- Brücke nach einem Spondeus im 2. Metrum: Nach einem 2. spondeischen Metrum wird Wortende gemieden (Hilberg'sches Gesetz)
- Brücke nach einem Trochäus im 4. Metrum: In einem 4. daktylischen Metrum ist nach dem Trochäus (also zwischen den beiden Kürzen) Wortende verboten (die Hermann'sche Brücke wird strikt eingehalten)
- Brücke nach einem Spondeus im 4. Metrum: Nach einem 4. spondeischen Metrum wird Wortende, also bukolische Diärese, gemieden (Naeke'sche Brücke)
- Brücken im versus spondiacus: (σπονδειάζων, Vers mit Spondeus im 5. Metrum): Wenn ein Hexameter mit ‒ ‒ ‒ × endet, findet sich zwischen den letzten drei Silben in der Regel kein Wortende mehr (es gilt also ‒ ‒͡ ‒͡ ×)
Vergleichbar mit der Hermann'schen Brücke lässt sich eine weitere Brücke beobachten:
- Brücke nach einem Trochäus im 2. Metrum: In einem 2. daktylischen Metrum wird nach dem Trochäus (also zwischen den beiden Kürzen) Wortende gemieden. Im kallimacheischen Hexameter gilt also auch: 1 ‒ ⏔, 2 ‒ ⏑͡ ⏑...
Im kallimacheischen Hexameter ist demnach nicht nur in jedem 4. Metrum (wie beim homerischen Hexameter), sondern auch in jedem 2. Metrum auf eine Brücke zu achten!
In dieser Einführung kann nicht detailliert auf die Besonderheiten des Hexameters bei allen einzelnen Dichtern der griechischen Antike eingegangen werden. Was bei den Versen des Kallimachos beobachtet wird, gilt im Grossen und Ganzen auch für die anderen hellenistischen Dichter, obwohl selbst hier im Einzelnen Unterschiede zu beobachten sind (vgl. beispielsweise Fantuzzi 1995 zu Theokrit). Der Vergleich von Homer und Kallimachos kann bei Fränkel 1955 weiter vertieft werden. Ausserdem ist das Buch von West 1982 wie üblich grundlegend: Der chronologische Aufbau seiner Behandlung der Metrik erklärt, warum die Ausführungen zum frühen Hexameter auf den Seiten 35-39, diejenigen von der späten Klassik bis zum Hellenismus auf den Seiten 152-157 und diejenigen zum Hexameter in der Kaiserzeit auf den Seiten 177-180 zu finden sind.
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