4. Singverse (κατὰ μέτρον gebaut)
Die bisher behandelten Sprechverse wurden reihenweise gebaut: Die Verse konnten beliebig oft aneinandergefügt werden. Man denke an ein Epos wie die Ilias. In den Singversen hingegen werden die Perioden zu Strophen zusammengefasst (vgl. dazu bereits Kapitel 1.5.2). Diese Lieddichtungen sind vor allem für die Lyrik und die Chorgesänge im Drama zentral. Die ursprüngliche Musik, welche die Worte begleitet hatte, ist heute weitgehend verloren. Interessierten seien die Werke "Ancient Greek Music" von Martin West (1992) und "Documents of Ancient Greek Music. The Extant Melodies and Fragments", herausgegeben von Egert Pöhlmann (2001), oder „A Companion to Ancient Greek and Roman Music“ von Lynch/Rocconi (2020) empfohlen. Auf die Fragen der musikalischen Begleitung kann in dieser Einführung nicht weiter eingegangen werden.
Die in diesem Kapitel besprochenen, κατὰ μέτρον gebauten Singverse basieren auf den bereits eingehend besprochenen anapästischen, daktylischen, jambischen und trochäischen Metren sowie einigen zusätzlichen Metren, die gleich im Anschluss vorgestellt werden. Die in Kapitel 5 besprochenen Singverse können im Unterschied dazu nicht in einzelne Metren unterteilt werden.
Da in den Chorliedern der Lyrik und des Dramas bislang keine zwei Lieder mit der gleichen metrischen Struktur belegt sind, kann diese Einführung der metrischen Vielfalt nur bedingt gerecht werden. Sind allerdings einmal einige Singverse verstanden worden, erschliessen sich auch weitere Strukturen leichter.
Für die Singverse ist der Begriff der Periode wichtig, der hier repetiert werden soll (vgl. bereits Kapitel 1.5.3). Eine Periode ist eine metrische Einheit, die durch eine Pause abgeschlossen wird. In den Sprechversen entspricht sie immer einem Einzelvers. In Singversen kann sich eine Periode über mehrere Verse erstrecken. Erst am Ende dieser Periode ist ein Wortende gefordert, Hiat erlaubt und die letzte Silbe ist ein Anceps (syllaba brevis in elemento longo ist möglich). Wenn sich eine Periode über zwei oder mehr Druckzeilen erstreckt, so wird ihre Kontinuität ("Synaphie") durch das Einrücken der zugehörigen Zeile(n) dargestellt.
Für die κατὰ μέτρον gebauten Singverse werden wie gesagt einerseits die vier häufigsten Metren verwendet: an (⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒), da (‒ ⏑ ⏑), ia (× ‒ ⏑ ‒) und tr (‒ ⏑ ‒ ×). Ausserdem kommen folgende Metren dazu:
cho | Chorjambus (‒ ⏑ ⏑ ‒) |
cr | Creticus (‒ ⏑ ‒) |
do | Dochmius (⏒ ‒ ‒ ⏑ ‒) |
ion | Ionicus (⏑ ⏑ ‒ ‒) |
Versuchen Sie, sich diese sogleich einzuprägen. Die wichtigsten κατὰ μέτρον gebauten Singverse werden in den Kapiteln 4.2-4.8 nach dem zugrunde liegenden Metrum besprochen. Zunächst wird jedoch eine einführende Übung angeboten.
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