5.2 Daktyloepitriten
Bei den Daktyloepitriten wird die Verschmelzung heterogener Gruppen, welche bereits bei den Epoden beobachtet wurde, verstärkt. Der Name bezeichnet das Nebeneinander von daktylischen und so genannten epitritischen Gliedern. ἐπίτριτος bedeutet eigentlich "ein Ganzes und ein Drittel enthaltend". In der antiken Metrik bezeichnete es das Zeitverhältnis 3 : 4 (‒ ⏑ | ‒ ‒) oder 4 : 3 (‒ ‒ | ⏑ ‒), also das Zeitverhältnis von "e ‒" oder "‒ e" (zur modernen Notierung mit "e" s.u.).
Bei Strophen in Daktyloepitriten handelt es sich um komplexe metrische Gebilde. Es ist im Rahmen dieser Einführung deshalb primär wichtig, dass Sie eine Analyse in der Sekundärliteratur verstehen und bei unterschiedlichen Ansichten diese kritisch beurteilen können. Am Ende dieses Kapitels können Sie sich mit der Analyse eines Chorlieds wie der folgenden aus West 1982, 135 auseinandersetzen:
× D | ‒ e ‒ |
e | ‒ D ||
D | ‒ e |
D × |
e | ‒ D | ‒ e ‒ ||
e | ‒ E ||
D | ‒ ith |||
Bei der Notierung des Versschemas daktyloepitritischer Strophen hat sich folgende Konvention eingebürgert (Ausnahme: Sicking 1993, 162 mit Anm. 10 und S. 4):
D | ‒ ⏑ ⏑ ‒ ⏑ ⏑ ‒ (=hem) als daktylische Elementargruppe |
e | ‒ ⏑ ‒ als epitritische Elementargruppe |
Diese Elementargruppen werden durch ein Anceps, welches mehrheitlich lang realisiert ist, miteinander verknüpft. Auch am Anfang oder am Ende einer Periode kann ein Anceps stehen.
E | ‒ ⏑ ‒ × ‒ ⏑ ‒ (=e × e) |
E2 | ‒ ⏑ ‒ × ‒ ⏑ ‒ × ‒ ⏑ ‒ (=e × e × e) |
Die folgenden Elementargruppen sind seltener:
d1 | ‒ ⏑ ⏑ ‒ |
d2 | ⏑ ⏑ ‒ |
Diese heute übliche Notation ist rein deskriptiv. Sie sagt nichts über die Entstehung solcher Strophen aus. Zuerst sind Daktyloepitriten bei Stesichoros belegt. In der Chorlyrik von Simonides, Pindar und Bakchylides sind sie das häufigste Versmass. In den daktyloepitritischen Liedern der Tragödie findet sich oft ein Ithyphallicus (‒ ⏑ ‒ ⏑ ‒ ‒) als Klausel.
Das daktyloepitritische Chorlied in Euripides, Medea 410-420 ist in West 1982, 135 analysiert. Versuchen Sie, die im Folgenden abgedruckte Analyse der Metrik nachzuvollziehen, indem Sie die Verse nach dem Schema lesen:
ἄνω ποταμῶν ἱερῶν χωροῦσι παγαί, (410) | × D | ‒ e ‒ | |
καὶ δίκα καὶ πάντα πάλιν στρέφεται· | e | ‒ D || |
ἀνδράσι μὲν δόλιαι βουλαί, θεῶν δ’ | D | ‒ e | |
οὐκέτι πίστις ἄραρεν. | D × | |
τὰν δ’ ἐμὰν εὔκλειαν ἔχειν βιοτὰν στρέψουσι φᾶμαι· (415-416) | e | ‒ D | ‒ e ‒ || |
ἔρχεται τιμὰ γυναικείωι γένει· | e | ‒ E || |
οὐκέτι δυσκέλαδος φάμα γυναῖκας ἕξει. | D | ‒ ith ||| |
Literatur zu den Daktyloepitriten: Korzeniewski 1968, 140-152.166-168; West 1982, 69-76.132-135.139-141; Snell 41982, 51-54; Sicking 1993 (bes. 162-167; vgl. auch das Sachregister S. 235 für weitere Stellen); Kannicht 1997, 359f.; Utzinger 2007, 22f.; Bär 2009, 68f.
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