Theokrit 1,75: Ein Beispiel für die Untermalung des Inhalts durch die Metrik
... πολλαὶ δὲ | δαμάλαι | καὶ πόρτιες | ὠδύραντο. Tri, Pe, Buk
"… und viele Kälber und Färsen klagten."
Die Brücken im 2. und 4. Metrum (jeweils zwischen den beiden Kürzen in δαμά- und -τιες) sind eingehalten.
Zwei Resultate einer metrischen Untersuchung des Hexameters sind auffällig:
1) Theokrit 1,75 ist ein σπονδειάζων, der Vers hat einen Spondeus im 5. Metrum (ὠδύραντο ist als ‒ ‒ ‒ × zu skandieren). Die Brücke im versus spondiacus ist eingehalten. In Theokrits bukolischen Idyllen (1, 3, 4, 5, 6 und 7) findet man nur 8 Hexameter mit diesem Versende – ganz im Unterschied zu seinen epischen Idyllen (13, 16, 17, 22, 24 und 26), wo Fantuzzi 1995 insgesamt 43 solcher Verse gezählt hat. West 1982, 154 sagt zu solchen Versen bei hellenistischen Dichtern (und insbesondere auch zu diesem Theokrit-Vers):
"[...] sometimes the rhythm enhances the sense [...]."
Theokrit hat das Klagen der Kälber durch die auffälligen Längen am Ende des Hexameters untermalt.
2) Ausserdem fällt auf, dass das von Natur aus kurze δὲ prosodisch lang zu messen ist. Wie bei Homer sind auch in späteren Hexametern gewisse Silben lang, die normalerweise kurz zu messen wären. So kann beispielsweise ein kurzer Vokal im Auslaut vor folgendem λ-, μ-, ν-, ῥ-, σ- und sogar vor *ϝ- im Anschluss an die Ilias und die Odyssee lang zu messen sein (vgl. Kapitel 2.4 Bsp. 3). Ausserdem kann wie in Theokrit 1,75 ein kurzer Vokal vor einem Verschlusslaut gelängt werden. Möglicherweise ist dies im Anschluss an Wörter geschehen, die ursprünglich mit *δϝ- begannen und bei Homer vorangehende Vokale längen konnten. Auch denkbar wäre eine Erklärung durch die Zäsur (Trithemimeres), deren Pause den Vokal gelängt haben könnte.
Diese zweite Beobachtung kann als Anlass dazu dienen, anhand von auffälligen Hexametern aus den homerischen Epen einige prosodische Besonderheiten zu repetieren: Link zur Übung aus dem Prosodie-Kapitel.
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